Offener Brief
An alle, die noch nicht verlernt haben, zu träumen.
In meiner Schulzeit hat eine Lehrerin einmal gesagt: „Mit siebzehn glaubt man noch, man könne die Welt verändern“.
Ich glaube noch immer daran. Ich glaube daran, obwohl mir die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate deutlich vor Augen geführt haben, dass es ein Kampf gegen Windmühlen ist. Ein halbes Jahr lang habe ich sehr viel Zeit, Energie und Geld in meinen neu erschienen Thriller KABINE 14 investiert – darunter fallen Marketingmaßnahmen, PR-Aktionen, hunderte E-Mails und Telefonate, die Organisation von Lesungen, Kontakte zu Medien und die vertriebliche Unterstützung des Verlags; also sämtliche Möglichkeiten, die mir zur Verfügung gestanden sind. Das ernüchternde Resultat lässt sich in drei Worte fassen: Ignoranz, Desinteresse, Blockade.
Um mich nicht falsch zu verstehen – das betrifft keineswegs meine Leser. Von rund 100 persönlichen Rückmeldungen waren 98 positiv bis begeistert. Ich sah das als gutes Omen und habe meine Anstrengungen zur Vermarktung verstärkt. Doch gerade vonseiten jener Stellen, welche essentiell für den wirtschaftlichen Erfolg eines Buches sind, also Buchhändler, Medien und Verlag, gab es keine oder nicht die gewünschte Unterstützung. Ausgearbeitete Marketingkonzepte und eine Fülle an Ideen änderten daran ebenso wenig wie Leseexemplare, Unterstützungsbekundungen oder persönliche Kontakte. Meistens gab es überhaupt keine Rückmeldung, oder, im Fall telefonischer Anfragen, ein „Schicken Sie mal.“
Klar, einem Großteil der Autoren geht es nicht anders. Kein Wunder, wenn jedes Jahr mehr Neuerscheinungen auf den Markt geworfen werden, die Verkaufszahlen aber immer weiter zurückgehen. Nur dieses Dilemma am eigenen Leib zu erfahren, lässt die Ernüchterung erst so richtig erstarken. Es wäre schön gewesen, wenn ich eine Chance bekommen hätte. Wenigstens eine einzige. Um zu zeigen, dass ich Ideen habe. Um zu zeigen, dass ich vielfältig und kreativ bin, Charisma und Sprachtalent besitze und neue Herausforderungen nicht scheue. Doch offenbar erhält man keine solchen Chancen. Zumindest nicht im künstlerischen Bereich. Kreativität, Talent, Fantasie – alles Dinge, die in der aktuellen westlichen Gesellschaftsstruktur keinen Platz finden. Hier geht es um Ordnung, nüchternes Denken, um Wachstum und Konsum; um genormte Menschen, die der Wirtschaft dienen, anstatt umgekehrt; um harte Fakten, positive Umsatzzahlen und immer mehr Leistung. Aus Menschen werden Roboter, im Dauerbetrieb stehende Maschinen des Neoliberalismus; verängstigte Geschöpfe, welche Arbeiten verrichten, die sie nicht wollen, um Geld für Dinge auszugeben, die sie nicht brauchen, und damit die letzte Frei-Zeit verlieren, die sie noch haben. Eine ernüchternde Feststellung.
Die negativen Erfahrungen der vergangenen Wochen und Monate haben sich auch auf meine kreativen Tätigkeiten ausgewirkt, insbesondere das Schreiben. Das erste Mal seit ich mich erinnern kann, erlebte ich so etwas wie eine Schreibblockade. Das geplante Fortsetzungswerk zu KABINE 14 kam nicht über das Konzept und die ersten Kapitel hinaus, auch anderswo plagte mich Motivationslosigkeit. Gleichzeitig träumte ich kaum noch; für jemanden, dessen Tagesverfassung entscheidend von den nächtlichen Gedankenbildern abhängt, eine ziemliche Belastung.
Seit einigen Tagen ist alles anders. Meine Träume sind zurückgekehrt. Und ich schreibe wieder. Ich arbeite an meiner Vampir-Satire RAPHAEL und habe die Pläne für meine erste fantastische Lovestory weiterentwickelt. Ein anderes Genre, eine andere Einstellung. Druck und Melancholie sind verschwunden, haben einer stillen Schaffensfreude Platz gemacht. Die Gewissheit hat sich durchgesetzt, dass es unsinnig ist, mehr und mehr Zeit, Überzeugungskraft und Energie zu investieren. Ich glaube, es ist wichtig gelassen zu bleiben. Das Leben mit Humor zu nehmen. Mehr auf sich zu schauen. Auf Freunde und Familie. Auf die kleinen Dinge im Leben. Sich Zeit zu nehmen. Den Moment genießen. Und ein neues kreatives Projekt zu beginnen.
In der Ruhe liegt die Kraft – und vielleicht auch der Erfolg.
Mortimer M. Müller
Autor & Träumer
Mortimer, ich kann allem, wirklich allem, was du gebloggt hast, leider nur zustimmen. ich will hier gar nicht ins gleiche horn stoßen und all meine frusterlebnisse der vergangenen monate auflisten, sie decken sich größtenteils mit den deinigen. leider herrschen auch in der österreichischen buchlandschaft verhältnisse wie in politik und wirtschaft; ein verlag, dessen engagement für den autor gegen null geht, ist da nur ein zusätzlicher stich in den rücken. der letzte absatz deines beitrages soll aber für uns alle gelten: schreiben aus freude. mach weiter und bringe das zu papier, was deiner seele gut tut. viel kraft wünsche ich dir dabei, herzliche grüße aus mödling, thomas eppensteiner
Lieber Thomas,
Vielen Dank für deine aufmunternden Worte! Die Kraft-Wünsche kann ich nur retour geben. Ich fürchte, es wird in Zukunft auch nicht leichter für (unbekannte) Autoren, sich und ihre Werke zu vermarkten; aber wo wird es heutzutage schon einfacher? ;) Glücklicherweise habe ich meine Ver-Frustung überwunden. Seitdem ich mich wieder voll auf das Schreiben konzentriere und nicht mehr sinnlos Energie ins Marketing stecke, geht es viel besser voran – aber nicht nur bei meinem aktuellen Werk, auch, welch Überraschung, in anderen Bereichen. Ich habe aufgehört, meine Frei-Zeit zu füllen und zu verpulvern – und kann das nur wärmstens weiterempfehlen!
lG Mortimer